Dieser Audiobeitrag wird von der Universität Erlangen-Nürnberg präsentiert.
Stellt euch ein kleines Zimmer vor, sechseckig, wie die Zelle einer Bienenwabe. Es hat weder ein
Fenster noch eine Lampe und doch ist es von einem sanften Leuchten erfüllt. Es gibt keine
Abluftöffnung und doch ist die Luft unverbraucht. Es sind keine Instrumente zu sehen und doch wird
dieses Zimmer von wohligen Klängen durchpulst. In der Mitte steht ein Sessel, daneben ein Lesepult,
mehr Mobiliar gibt es nicht. In dem Sessel sitzt ein in Tücher gewickelter Fleischberg,
eine Frau, etwa anderthalb Meter groß mit einem Gesicht, weiß wie Pilz. Ihr gehört das kleine
Zimmer. Eine elektrische Klingel läutete, die Frau legte einen Schalter um und die Musik verstummte.
Sie setzte ihren Sessel in Bewegung, dieser wurde mechanisch gesteuert und so rollte sie ans andere
Ende des Zimmers. Seit die Musik spielte, war sie wiederholt gestört worden. In gewissen Bereichen
konnte die menschliche Kommunikation erhebliche Fortschritte verzeichnen. Nun gut, unterhalten wir
uns, ich isoliere mich jetzt. Ich gehe nicht davon aus, dass in den nächsten fünf Minuten
etwas wichtiges passiert, denn genau die bekommst du von mir, Kuno, ganze fünf Minuten. Sie betätigte
den Isolationsknopf, sodass sie niemand mehr erreichen konnte, tippte mit dem Finger an den
Lichtapparat und das kleine Zimmer versank in Dunkelheit. Mach schnell, Kuno, ich verschwende
meine Zeit. Ganze 15 Sekunden vergingen, bis die Scheibe in ihren Händen aufleuchtete. Ein erst
blaues, dann dunkelviolettes Licht zuckte schwach darüber hinweg und schon war ihr Sohn, der auf der
anderen Seite der Erde lebte, zu sehen und er sah sie. Ich rufe nicht zum ersten Mal an, Mutter,
aber du bist immer beschäftigt oder isoliert. Ich habe dir etwas wichtiges zu sagen. Was denn,
mein lieber Junge? Es hat keine Ruhrpost, weil ich es dir persönlich sagen will. Ich möchte,
dass wir uns sehen, aber ich sehe dich doch. Was willst du mehr? Ich will dich nicht durch die
Maschine sehen. Ich will dich auch nicht durch die lästige Maschine sprechen. Sei still. Du darfst
dich nicht maschinenfeindlich äußern. Das hört sich an, als hätte ein Gott die Maschine erschaffen.
Vergiss nicht, die Menschen haben sie erschaffen. Begnadete Menschen, aber doch Menschen. Obwohl
ich etwas auf dieser Scheibe sehe, das dir ähnlich ist, sehe ich nicht dich. Obwohl ich
durch den Fernsprecher etwas höre, das dir ähnlich ist, höre ich nicht dich. Deswegen will ich,
dass du zu mir kommst. Nun, für einen Besuch werde ich kaum die nötige Zeit haben. Mit dem
Luftschiff bist du in weniger als zwei Tagen bei mir. Luftschiffe sind mir zuwider, weil es mir
zuwider ist, die fruchtbare braune Erde zu sehen, das Meer und nachts die Sterne in einem Luftschiff.
Komme ich nicht auf Ideen. Er verstummte. Sie nahm an, dass er niedergeschlagen war. Ganz sicher
konnte sie nicht sein, denn die Maschine übertrug kein Minenspiel. Das unwägbare Fluidum, das einer
überkommenen Weltanschauung zufolge das Wesen einer jeden zwischenmenschlichen Begegnung ausmachte,
war der Maschine gleichgültig. Offengestanden, sagte Kuno, will ich die Sterne wieder sehen,
aber nicht vom Luftschiff, sondern von der Erdoberfläche aus. Du musst zu mir kommen,
Mutter, damit du mir erklärst, was schlecht daran sein soll, an die Erdoberfläche zu gehen. Die
blaue Scheibe verblasste, er hatte sich isoliert. Einen Moment lang fühlte Vashti sich einsam. Dann
erzeugte sie Licht und der Anblick ihres hell erleuchteten Zimmers mit all seinen elektrischen
Knöpfen richtete sie wieder auf. Sie waren überall. Mit ihnen ließ sich Nahrung, Musik und Kleidung
anfordern. Es gab einen Knopf für Warmbäder, es gab einen Knopf für Literatur und natürlich gab
es jene Knöpfe, die es ihr ermöglichten mit ihren Freunden zu kommunizieren. Als nächstes betätigte
sie wieder den Isolationsknopf und die Anfragen der letzten drei Minuten stürzten auf sie ein.
Der Raum war vom Lärm der Klingeln und Kommunikationsröhren erfüllt. Sie ließ sich
Nahrung zuführen, unterhielt sich mit Freunden, nahm ein Bad und forderte schließlich ihr Bett an.
Das Bett war nicht nach ihrem Geschmack. Eine Beschwerde wäre zwecklos gewesen. Überall auf
der Welt waren die Betten gleich groß und Abweichungen hätten weltreichende Modifizierungen
in der Maschine erforderlich gemacht. Neben ihr, auf dem kleinen Lesepult, lag ein Überbleibsel aus
dem Zeitalter der Unordnung. Ein Buch. Es handelte sich um das Buch der Maschine. In ihm fanden sich
Anweisungen für jeden erdenklichen Zwischenfall. Es wurde vom Zentralgremium herausgegeben,
sie setzte sich und nahm es ehrfürchtig in die Hände. Oh Maschine! Sie hob den Band an
ihre Lippen und konsultierte die Seite, auf der die Abflugzeiten der Luftschiffe verzeichnet waren,
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
01:08:45 Min
Aufnahmedatum
2018-02-08
Hochgeladen am
2018-02-16 08:54:44
Sprache
de-DE
Eine ganze Universität beschäftigt sich ein Jahr lang mit einem Buch und kommt darüber ins Gespräch. An der FAU stand für ein Jahr lang E.M. Forsters dystopischer Roman „Die Maschine steht still“ im Mittelpunkt. Einen Rückblick auf die vielfältigen Aktionen des Jahres wirft die Abschlusspräsentation. Umrahmt wird die Präsentation von einer musikalischen Lesung der Erzählung.
Ein Jahr lang setzten sich Angehörige der FAU und ihre Gäste in Vorträgen, Seminaren, Exkursionen und Podiumsdiskussionen mit dem Spannungsfeld von Technik und Gesellschaft auseinander. Eine Frage tauchte dabei immer wieder auf: „Die Maschine steht still – und dann?“ Teilnehmende der Veranstaltungen waren aufgefordert, ihren Gedanken freien Lauf zu lassen und diese mit einer eigens angefertigten Postkarte zurückzumelden.
In seinem Roman zeichnet E.M. Forster das düstere Bild einer Zukunft, in der die Menschheit von einer Maschine beherrscht wird. Die Geschichte handelt von der maschinenhörigen Mutter Vashti und ihrem Sohn Kuno, der sich gegen die Technokratie auflehnt. Die Revolution endet im Zusammenbruch des Systems.
Die Idee des Projekts „Eine Uni – ein Buch“ geht auf eine Initiative des Stifterverbands für die Wissenschaft, der Klaus-Tschira-Stiftung und der „ZEIT“ zurück. Die FAU hatte sich erfolgreich auf die erste Ausschreibung beworben und für das Jahr 2017 Projektmittel erhalten, mit denen zahlreiche Veranstaltungen durchgeführt wurden. Konzipiert und organisiert wurde das Programm gemeinsam von der Abteilung M – Marketing und Kommunikation und dem Zentralinstitut für Wissenschaftsreflexion und Schlüsselqualifikationen (ZiWiS).